Sozialpsychiatrischen Dienste in Baden-Württemberg

Aktuelle Debatte – Bericht der Sozialpsychiatrischen Dienste in Baden-Württemberg 2010: Impulse und Schlussfolgerungen für die zukünftige Versorgung

Abg. Florian Wahl SPD: Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es bedurfte erst des Freitods des Torwarts Robert Enke vor ein paar Jahren,

(Zuruf von der CDU: Vor zwei Jahren!)

damit eine breite öffentliche Debatte zum Thema „Überleben mit psychischen Erkrankungen“ stattfinden konnte. Erst durch diesen Vorfall, diesen prominenten Freitod, gelangte über die Fachdiskussion hinaus das Bewusstsein in die breite öffentliche Diskussion, dass psychische Erkrankungen jeden treffen können. Sie beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit, sondern auch die soziale Integration; sie verursachen häufig Probleme auf dem Arbeitsmarkt, und natürlich finden sie sich auch in der Kriminalitätsstatistik wieder.

In der Gesundheitsstatistik ist eine massive Zunahme der Zahl psychisch Erkrankter festzustellen. Nach Angaben der BKK entfallen auf 100 beschäftigte Pflichtmitglieder pro Jahr mittlerweile 178 Tage, für die eine Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde. Das ist die viertgrößte Gruppe. Die Zahl der Krankheitstage im Zusammenhang mit dem Burn-out-Syndrom – Kollege Teufel hat es gerade angesprochen – hat sich seit dem Jahr 2004 verzehnfacht.

An dieser Stelle ist vor allem festzustellen, dass überwiegend Männer und Frauen in der Mitte ihres Lebens davon betroffen sind. Es sind Menschen, die von Konflikten um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betroffen sind, Menschen, die im täglichen Arbeitsleben unter Druck stehen oder die von auseinanderfallenden Karriereplanungen betroffen sind. Es sind auch Menschen, die von Überlastungen betroffen sind. Das letzte Beispiel – auch wieder aus dem Fußball – zeigt, dass dieses Problem auch an Prominenten nicht vorbeigeht: Das konnte man an Ralf Rangnick sehen.

Psychische Erkrankungen sind nicht einfach zu heilen. Zum einen ist schon die Dauer der Akutbehandlung relativ lang, und zum anderen kann man bei Patienten, bei denen eine Akutbehandlung stattgefunden hat, oft nicht von einer Beschwerdefreiheit sprechen. Oft geht die festgestellte Krankheit dann in eine Behinderung über.

Es ist, glaube ich, klar: Wir brauchen ein bedarfsgerechtes Netz mit ambulanter Versorgung vor allem durch Psychiater und Psychotherapeuten sowie teilstationäre und stationäre Behandlungsplätze, und zwar wohnortnah. Wir brauchen aber auch eine Unterstützungsstruktur, die sich neben der Akutbehandlung auch um die Alltagsprobleme der erkrankten bzw. behinderten Menschen kümmert. Das sind die Sozialpsychiatrischen Dienste.

Es ist besonders wichtig, dass wir all die genannten Hilfen zusammen brauchen. Was in Baden-Württemberg noch nicht vorliegt, ist ein erkennbares und geregeltes Gesamtkonzept. Das werden wir mit dem Landespsychiatriegesetz schaffen.

Wir wollen dabei nicht – das ist ganz wichtig – eine Hilfeart gegen die andere ausspielen. In bestimmten Krankheitsphasen geht es eben nur mit einer stationären Behandlung; da kön­nen ambulante Hilfen so gut sein, wie sie wollen. Aber klar ist auch: Wenn wir nicht genügend ambulante Hilfen zur Verfügung haben, dann wird in vielen Fällen eine stationäre Behandlung eingeleitet. Sie dauert länger, als es eigentlich notwendig ist, und wenn sie nicht stattfindet – gerade wurde auch das Thema Kriminalität angesprochen –, gibt es auch Fälle von Straffälligkeiten, sodass sich ein Strafvollzug anschließt.

Ein solches Vorgehen ist erstens viel teurer, zweitens auch nicht im Sinne der Patienten und drittens auch nicht gut für die öffentlichen Kassen. Denn man muss auch sagen: Die stationäre Versorgung ist im Regelfall immer die am stärksten belastende und die teuerste.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich, dass wir uns hier in der Zielsetzung einig sind.

Aber man muss schon darauf hinweisen, dass die im Jahr 2003 bei den Sozialpsychiatrischen Diensten vorgenommenen Mittelkürzungen von 4 Millionen € auf 2 Millionen € schon hart gewesen sind, zumal es trotz steigender Personalkosten und trotz einer erheblichen Fallzahlsteigerung – ich hatte vorhin die Verzehnfachung der Zahl von Burn-out-Fällen seit 2004 erwähnt – keine Anpassung gegeben hat. Wenn Sie, Herr Teufel, dann sagen, wir seien auf dem richtigen Weg, muss ich, auch wenn ich Ihnen in vielem zustimmen kann, sagen: Nein, wir waren in den letzten Jahren eben nicht auf dem richtigen Weg, sondern auf dem falschen Weg. Das versuchen wir jetzt zu beheben.

Auch die Argumentation, die von Ihnen gerade vorgebracht worden ist, die Leistungsansprüche gemäß dem Krankenhausversicherungsgesetz – damals, als gekürzt wurde – würden die Sozialpsychiatrischen Dienste teilweise entlasten, war falsch, weil die Grundversorgung oftmals nicht durch das SGB V abgedeckt war. Ich nenne als Stichworte die Beratung Hilfesu­chender, vorsorgende Hilfe, nachsorgende Hilfe, Durchfüh­rung von Hausbesuchen. Ich könnte diese Liste weiterführen.

Ich will zusammenfassen – ich muss auch allmählich zum Schluss kommen –: Der Jahresbericht der Sozialpsychiatrischen Dienste in Baden-Württemberg 2010 macht deutlich, dass wir seitens des Landes eine höhere Verantwortung für den Umgang mit psychisch Erkrankten wahrnehmen müssen: zum einen in der verbindlichen Koordination, zum anderen aber auch in der Finanzierung. Da sind wir – das hat Manne Lucha gesagt – auf dem richtigen Weg. Auch das Landespsychiatriegesetz wird kommen; auch da sind wir dran.

Dabei wollen wir aber – das ist ganz wichtig – alle beteiligten Leistungsträger – das sind vor allem die Krankenkassen, die Rentenversicherungsträger und die Kommunen – mit auf den Weg nehmen; denn ohne sie ist kein Gesamtkonzept möglich.

Last, but not least – auch das ist ein Punkt, der kurz erwähnt werden muss – brauchen wir eine stärkere Förderung der gesundheitlichen Prävention. Da ist es – das muss man schon sagen – aus unserer Sicht schon wichtig, dass im Jahr 2013 auch auf Bundesebene Schwarz-Gelb sein Ende findet. Denn das Präventionsgesetz wird von Schwarz-Gelb verhindert.

Ich denke, in dieser Richtung werden wir weiterarbeiten. Wir fangen aber hier schon einmal an.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)