Resolution des Landtags gegen rechtsextremistische Gewalt

 Resolution des Landtags von Baden-Württemberg gegen rechtsextremistische Gewalt – Drucksache 15/903

Abg. Florian Wahl SPD: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Eine demokratische Offensive gegen extremistische Gewalt muss deshalb mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme beginnen. Wir brauchen eine offene Auseinandersetzung damit, wie Staat und Gesellschaft bisher mit Rechtsextremismus umge­gangen sind.

Wir stehen noch am Anfang der Aufklärung dieser schreckli­chen Mordserie. Aber eines ist bereits klar: Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und rechte Gewalt wurden in diesem Land bisher sträflich unterschätzt, sie wurden teilweise heruntergespielt, mit gänzlich anderen Phänomenen gleichgesetzt und damit relativiert, und sie wurden leider zu oft und in vielen Fällen nicht mit der notwendigen Konsequenz und Härte des Rechtsstaats verfolgt. Es ist schwer fassbar – auch für mich als jungen Menschen –, dass eine braune Terrorzelle jahrelang ungestört in ganz Deutschland morden konnte. Diese Taten und ihre Hintergründe müssen schnellstmöglich aufgeklärt werden.

Viele Menschen fragen sich, warum brauner Terror als Ursa­che oftmals so schnell ausgeschlossen wurde. Die Opfer waren ehrliche Steuerzahler, es gab kein mafiöses Umfeld oder Drogenkriminalität. Die Bezeichnung „Döner-Morde“, die gleich auch zum Erklärungsmuster für diese Verbrechen wurde, muss für die Angehörigen der Opfer umso zynischer klingen. Vor allem aber muss dieses Thema dauerhaft im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sein. Es darf nicht sein, dass wir uns nur dann mit Rechtsextremismus beschäftigen, wenn wieder ein türkisches Geschäft in Flammen aufgeht. Wir stehen vor einer Herausforderung, die an den Grundwerten unseres Rechtsstaats rüttelt.

Wir müssen uns aber auch fragen, warum so grobe Fehleinschätzungen getroffen wurden. Es geht darum, aus bisherigen Versäumnissen zu lernen. Deswegen kommen wir nicht darum herum, uns auch damit zu beschäftigen, wie die Politik in den letzten Jahren mit Rechtsextremismus umgegangen ist. An dieser Stelle möchte ich an alle im Hause appellieren – auch an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, aber auch an die Regierung –, zu überprüfen, wie wir in den letz­ten Jahren mit diesem Thema umgegangen sind. Da gab es auf verschiedenen Ebenen grundsätzliche Probleme. So wurden z. B. auf Bundesebene von Bundesministerin Christina Schrö­der auch Programme gefahren, die in gewisser Form leider ein Inbegriff von Verharmlosung und Relativierung in Sachen Rechtsextremismus waren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ha no, ha no!)

Ich möchte Ihnen – mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten – deswegen ein Zitat aus der „Tagesschau“ von letzter Woche vortragen:

Erfolgreiche Projekte für Demokratie wurden behindert, ideologische Debatten über Demokratieklauseln initiiert und Geld für sinnlose Projekte verbrannt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wer sagt das? – Unruhe)

– Patrick Gensing, 16. November 2011, Kommentar in der „Tagesschau“. – Ich zitiere weiter:

Höhepunkt dieses grotesken Schauspiels: Der Jungen Union Köln wurden Bundesmittel bewilligt, um eine Fahrt gegen Linksextremismus nach Berlin zu veranstalten, mit einem „gemeinsamen Ausflug ins Nachtleben“. …

(Zuruf von der CDU: Das ist ja unglaublich!)

Das Geld gegen Rechts wurde hingegen gekürzt.

Das kommt nicht von uns, das kommt nicht aus einer ideologischen Debatte. Das kommt aus der „Tagesschau“ und stammt von einem angesehenen Journalisten.

Wir müssen uns an dieser Stelle aber auch die Frage stellen, wie wir auch im Land auf die Gefahr von rechts reagiert haben. Mein Vorgänger Stephan Braun hat beispielsweise im September 2009 die Kleine Anfrage Drucksache 14/5056 gestellt, und in der Antwort hat ihm der damalige Innenminister Rech mitgeteilt:

Es gibt derzeit … keine Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der rechtsextremistischen Szene terroristische Bestrebungen entstehen.

(Zuruf von der CDU: Und wenn es so ist?)

Das war zwei Jahre nach dem Mord an der Polizistin Kiesewetter. Das kann man zwar niemandem vorwerfen, aber es ist eine Tragik. Wir müssen aber eines sehen: Im Jahr 2007 hat das Land die Sachmittelzuschüsse für die Landeszentrale für politische Bildung um rund die Hälfte gekürzt. Wir müssen an dieser Stelle darauf achten, dass wir in Zukunft die ideologischen Debatten, die wir über dieses Thema teilweise geführt haben, nicht mehr führen,

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Helmut Walter Rüeck: Das sagt der Richtige!) dass wir keine Anfragen mehr danach stellen, ob bei den Jusos oder der Grünen Jugend linksextremistische Strömungen bestehen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Bei linksextremisti­schem Terror ist das wichtig!)

An dieser Stelle müssen wir eines sehen – das ist doch der Punkt –: Wir dürfen den Rechtsextremismus nicht weiter relativieren, indem wir ihn mit linken Strömungen und Linksextremismus gleichsetzen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Beides! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Beides muss bekämpft werden. Aber es ist nicht das Glei­che.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht in Abrede stellen, dass wir alle dazulernen müssen und dass wir dazulernen. Das ist das Recht eines jeden Menschen, das Recht einer Demokratie. Aber auch dies muss in allen Teilen der Gesellschaft jetzt passieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen der Menschen in den Staat wiederherzustellen, gerade auch der Menschen mit ausländischen Wurzeln.

(Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Dieser Staat hat die Verpflichtung, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dies darf uns nicht zu teuer sein, dies darf uns nicht zu umständlich sein, und dies darf auch nicht an föderalistischen Fragen scheitern.

Der Kampf gegen Rechts ist für uns gewählte Volksvertreter, aber auch für jeden einzelnen Menschen eine zentrale Aufga­be.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Gegen Extremismus jeder Couleur! – Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

– Jeder Couleur. Aber jetzt fangen wir in dieser Debatte schon wieder an, dass wir – – Wir hatten in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren zehn Morde.

(Zurufe von der CDU und der FDP/DVP – Glocke des Präsidenten)

Präsident Guido Wolf: Ich darf um Ruhe bitten.

Abg. Florian Wahl SPD: Hier setzen wir wieder das Ungleiche gleich. Es geht doch darum, das, was jetzt passiert ist, aufzuarbeiten und an dieser Stelle keine Nebengefechte zu führen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Dies müssen wir jetzt tun. Dafür brauchen wir Prävention, dafür brauchen wir Aufklärung in der Schule. Wir brauchen starke zivilgesellschaftliche Initiativen, wir brauchen eine konsequente Strafverfolgung, und wir brauchen, wie es der Kollege schon gesagt hat, eine Unterstützung für Aussteiger aus der Szene.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis ihre menschenver­achtenden Ideologien nicht nur an Wände schmieren, sondern auch zu blutiger Realität werden lassen. Dieser Aufgabe müs­sen wir alle uns – auch in diesem Haus – stellen.

Herzlichen Dank.