„Joachim, ich bin Dein Vorprogramm“

Quelle: SZBZ von Tim Schweiker am 17.11.2012

Bei so einer Begrüßung kann ohnehin nichts schief gehen. Als Sigmar Gabriel, der Bundesvorsitzende der SPD, zum Pressegespräch im Darmsheimer Bezirksamt erscheint, berlinert ihm Sieglinde Schmidt, Sekretärin von Ortsvorsteher Wolfgang Trefz, entgegen: „Schön, dass ick Sie mal persönlich kennen lerne.“

Kennenlernen muss Gabriel freilich erst mal den Ort des Geschehens. „Gehört Sindelfingen eigentlich zu Stuttgart oder ist es selbstständig?“ Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl klärt ihn auf und wenig später, in der rappelvollen Festhalle beim Politischen Martini, weiß Gabriel mit den schwäbisch-lokalpatriotischen Befindlichkeiten bereits seine Späße zu machen.

„Schön, hier in Böblingen zu sein“, sagt er. „Sindelfingen!“, schallt es zurück, und: „Darmsheim!“ Gabriel, der aus dem niedersächsischen Goslar stammt, schmunzelt und sagt: „Das ist ja schlimmer als bei uns und wir haben die Kreisreform bis heute nicht verwunden.“

Bestens gelaunt, spontan, aber auch durchaus kämpferisch zeigt sich der SPD-Chef beim Politischen Martini, den er zum Anlass nimmt, „darüber nachzudenken, ob man in Deutschland noch den angemessenen Lohn für seine Arbeit bekommt“. Gutes Geld für gute Arbeit und – mit Blick auf die Leiharbeitsverhältnisse – auch gleiches Geld für gleiche Arbeit, das ist eine von Gabriels Kernforderungen.

Um mehr Gerechtigkeit geht es ihm auch beim Thema Rente. Es gebe nun mal Berufe, in denen man nicht bis 67 arbeiten könne, weil das körperlich kaum zu schaffen sei. „Ich will nicht, dass mich eine 67-jährige Krankenschwester heben muss“, sagt er und grinst: „Warum wird hier eigentlich immer gelacht?“ Nach 45 Beitragsjahren, sagt er nun wieder ganz ernst, „muss es auch mal gut sein. Dann muss man abschlagsfrei in Rente gehen können.“

Gerechtigkeit, das ist für Gabriel auch das Stichwort im Gesundheitswesen. „Wer krank ist, darf deswegen nicht arm werden. Und wer arm ist, darf deswegen nicht krank werden“, sagt er, fordert die Bürgerversicherung. Es habe Deutschland stark gemacht, „dass wir immer den Ausgleich geschafft haben zwischen denjenigen, denen es gut geht, und denen, die nicht so viel haben“.

Deutschland, diagnostiziert er, sei aber in „Schieflage“ geraten. Es könne nicht sein, „dass die Brüder, die an den Finanzmärkten spekulieren, die Wirtschaft in den Keller reißen und dann nicht dafür büßen müssen.“

Klar, dass auch die schwarz-gelbe Koalition und Kanzlerin Angela Merkel ihr Fett abkriegen. Merkel habe die „marktkonforme Demokratie“ gefordert. „Ich will das genaue Gegenteil davon“, echauffiert sich Gabriel: „Ich will demokratiekonforme Märkte. Unsere Eltern und Großeltern haben es schon einmal geschafft, den Kapitalismus zu bändigen. Wir müssen wieder zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft mit Spielregeln, die den Menschen dienen.“

Klar, dass Gabriel an so einem Abend nicht an der Debatte um die Nebeneinkünfte seines Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück vorbeikommt. Steinbrück habe zugegeben, „dass die Sache bei den Stadtwerken Bochum ein Fehler war“. Er habe aber auch alle seine Einkünfte konsequent offen gelegt. „Und als wir gesagt haben, das machen wir jetzt zum Standard im Abgeordnetengesetz, da haben sich die Jungs von der anderen Seite in die Büsche geschlagen. Ich habe die Nase voll von dieser Heuchelei.“

Ein Honorar bekommt Gabriel von der hiesigen SPD für seine mit viel Applaus bedachten Rede nicht. Zeit für die Gänsekeule hat er auch nicht, weil er noch in der Nacht zurück nach Berlin muss. Aus Paris hingegen kommt kurz vor Schluss von Gabriels Rede der SPD-Bundestagskandidat Dr. Joachim Rücker. Sigmar Gabriel begrüßt ihn freudig: „Ah, da kommt ja der Mann, um den es eigentlich geht. Ich bin nur Dein Vorprogramm. “

Mit Sigmar Gabriel, dem Bundesvorsitzenden der SPD, sprach beim Politischen Martini in Darmsheim ein echtes politisches Schwergewicht – womit der Mann aus Goslar selbst gern kokettiert.