Viel Zeit bei der Integration verschlafen

Quelle: SZBZ von Sybille Schurr 14.11.2011

Für den jungen SPD-Landtagsabgeordneten war es der erste Politische Martini als Verantwortlicher. Vorgänger Stephan Braun, der die Tradition aufleben ließ, hatte zwar versprochen, sich in der Küche um den Gänsebraten zu kümmern, doch ein Familienfest machte ihn unabkömmlich.

Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, hatte den Part übernommen, Lob und Kritik zu verteilen: freundlich, moderat und in einigen Punkten deutlich kritisch. „Integration als Herausforderung und Chance“ ist ein Thema, das in der neuen Landesregierung eine gewichtige Rolle spielt. Darauf deutet schon die Schaffung des Integrationsministeriums hin. Für den ehemaligen Daimler-Chef ist Integration schon lange zum Lebensmittelpunkt geworden.

Zum einen aus ganz persönlicher Erfahrung. Seine Kindheit bis zum elften Lebensjahr verbrachte Reuter in der Türkei. Eine Familie auf der Flucht vor dem Naziterror. Später, zurück in Deutschland und ab 1964 in Verantwortung bei Daimler-Benz, erlebte Reutter ohne Emotionen, wie Anwerbeverträge die Arbeiter nach Deutschland geschwemmt haben. „Wir sind damals alle davon ausgegangen, dass diese Menschen nach einigen Jahren wieder zurückkehren werden in ihre Heimat,“ Edzard Reuter.

Die Geschichte verlief anders. Noch immer tut man sich schwer mit der Integration. Auf beiden Seiten. „Wir haben viel Zeit in Sachen Integration verschlafen“, sagt Sozialdemokrat Reutter und nimmt bei der Kritik seine Partei nicht aus. Für die Weigerung Deutschlands, sich als Einwanderungsland zu sehen, ein Zustand, der sich erst 2000 änderte, zahlen die Migranten in dritter Generation noch die Zeche.

Weltoffene Gesellschaft

Vieles, da ist Reutter sicher, ist eine Frage der Zeit, die Generationen wachsen zusammen. Es braucht jedoch nach wie vor politische Rahmenbedingungen für Chancengleichheit. Integration, nicht Assimilation, das ist eine gesellschaftliche Zukunftschance für eine weltoffene tolerante Gesellschaft. „Viele Menschen arbeiten daran“, weiß Reutter aus täglichem Erleben.

Er und seine Frau Helga fördern und unterstützen positive Beispiele mit ihrer Stiftung. Und er fordert seine Zuhörer auf, sich in solche Gemeinschaftsprojekte einzubringen: „Man kann unendlich viel tun, gemeinsam leben, gemeinsam musizieren oder Sport treiben“.