Antisemitismus als Bedrohung für die Demokratie – Erfolgreicher Auftakt der „Böblinger Gespräche“ mit Dr. Michael Blume
Am Sonntagmittag fand im Blauen Haus in Böblingen der Auftakt der neuen Gesprächsreihe „Böblinger Gespräche“ statt. „Die Böblinger Gespräche sind ein Herzensprojekt für mich. In Zeiten in denen die Polarisierung steigt und die Sprachlosigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppe zunimmt, wollte ich ein Gesprächsformat in Kooperation mit dem Kulturnetzwerk blaues Haus e. V. schaffen, in welchem es um grundsätzliche gesellschaftliche Themen geht. Es soll bewusst nicht tagespolitisch sein. Das Prinzip ist ganz einfach: ein Gast, eine Stunde moderiertes Gespräch, eine halbe Stunde Nachfragen aus dem Publikum,“ erklärt Florian Wahl.
Am Sonntag, den 16. März 2025, fand der Auftakt statt mit dem Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdischen Leben Dr. Michael Blume unter der Fragestellung „Antisemitismus – Bedroht der Antisemitismus wieder unsere Demokratie? vor 80 interessierten Gästen, unter ihnen der Erste Bürgermeister der Stadt Böblingen Tobias Heizmann und der regen Teilnahme von Stadträten von Grünen, CDU, SPD, FDP und Bürger für Böblingen (BfB).
Antisemitismus auf dem Vormarsch
In dem von Florian Wahl moderierten Gespräch machte Blume deutlich, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem der Vergangenheit ist, sondern auch heute noch tief in der Gesellschaft verwurzelt ist: „Antisemitismus war nie weg, auch nicht aus der Mitte der Gesellschaft“, so Blume. Besonders besorgniserregend sei der Anstieg antisemitischer Vorfälle in den letzten Jahren. Laut dem aktuellen Bericht des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) wurden im Jahr 2023 in Deutschland über 2.700 antisemitische Vorfälle registriert – ein Anstieg von fast 40 % im Vergleich zu den Vorjahren. Auch in Baden-Württemberg ist die Zahl der gemeldeten Fälle gestiegen: Das Innenministerium verzeichnete im Jahr 2023 über 250 Vorfälle, darunter Beleidigungen, Bedrohungen und gewalttätige Angriffe. „Judenfeindliche Stereotype und Verschwörungstheorien haben sich besonders im Zuge der Corona-Pandemie wieder verstärkt verbreitet. Diese Narrative werden sowohl von Rechtsextremen als auch von Teilen der politischen Linken aufgegriffen“, erklärte Dr. Blume. Besonders die Verbreitung von Hassbotschaften in sozialen Medien sei ein großes Problem. Blume hielt ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die sozialen Medien, die zu einer Polarisierung in der Gesellschaft führten, die er als bedrohlich erachtet.
Antisemitismus kommt aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Im Gespräch wurde über die verschiedenen Formen des Antisemitismus diskutiert, darunter linksgerichteter, rechtsextremistischer und muslimisch geprägter Antisemitismus. Jede sei zu bekämpfen und für die Demokratie gefährdend auch wenn sie in ihrer Gewaltbereitschaft unterschiedlich seien. „Rechte Antisemiten sind gewaltbereiter. Aber die wissen wenigstens, womit man es zu tun hat,“ so Blume. Mit linken Antisemiten sei dahingehend schwierig beizukommen, da sie leugnen würden, antisemitische Erzählungen zu verbreiten, während sie im gleichen Atemzug das Existenzrecht Israels in Frage stellen würden. „Bei rechten Antisemiten braucht man Polizeischutz, bei linken Antisemiten Baldrian zu Beruhigung“, so der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und für jüdischen Leben.
Seit dem barbarischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 habe der Antisemitismus und die Bedrohung jüdischen Leben auch in Deutschland und Baden-Württemberg spürbar zugenommen. Auch er als Landesbeauftragter konstant im Fokus von Angriffen und Hassmails, teilweise benötige er Polizeischutz.
Es dürfe in Bezug auf den 7. Oktober keine Täter-Opfer-Umkehr stattfinden. „Israel wurde angegriffen und hat jedes Recht sich zu verteidigen,“ sagte Florian Wahl. Blume konstatierte: „Es muss immer möglich sein Israel und dessen Regierung zu kritisieren. Auch ich habe schon oft genug die Regierung Netanjahu kritisiert. Aber das Existenzrecht Israels ist für mich nicht verhandelbar. Man darf Israel genauso wenig das Existenzrecht absprechen wie Pakistan, der Ukraine oder Taiwan.“ Der Begriff „Israelkritik“ sei schon bemerkenswert, denn er würde immer den Staat als solches kritisieren, nicht die Regierung oder eine bestimmte Politik.
Zusammenhalt gegen Hass
Ein wichtiger Punkt der Diskussion war, dass Antisemitismus nicht nur Jüdinnen und Juden betrifft, sondern eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft darstellt. „Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere Demokratie“, betonte Dr. Blume. Er rief dazu auf, sich solidarisch zu zeigen und antisemitischen Äußerungen entschieden entgegenzutreten – egal, ob im Freundeskreis, im Netz oder in der Politik. In dem Gespräch wurde zudem darauf abgehoben, was auch auf der kommunalpolitischen Ebene dagegen getan werden könne und sprach direkt die anwesenden Stadträte an.
Florian Wahl unterstrich, dass der Kampf gegen Antisemitismus parteiübergreifend geführt werden müsse: „Es reicht nicht, nur zu sagen, dass wir gegen Judenhass sind. Wir müssen aktiv dagegen ankämpfen – in unseren Institutionen, in den Schulen und in der politischen Bildung vor allem auf der kommunalen Ebene.“
Die „Böblinger Gespräche“ sollen künftig drei bis viermal im Jahr stattfinden und gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus rücken. Die nächste Veranstaltung ist für den 1. Juni 2024, 15:00 Uhr geplant, zu Gast der evangelische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl sein. Interessierte können sich bereits jetzt unter info@florian-wahl.de anmelden.
