„Das Finanzamt als Modell fürs Land“

Quelle: SZBZ von Karlheinz Reichert 10.02.2012

Wenn der Laden nicht läuft, kommt der Chef normalerweise, um nach dem Rechten zu sehen. Anders dagegen Ingo Rust. Der Staatssekretär im baden- württembergischen Ministerium für Finanzen und Wirtschaft besuchte zusammen mit dem Böblinger Landtagsabgeordneten Florian Wahl (beide SPD) das Finanzamt in der Kreisstadt, verteilte Lob und spendete Trost.

Kritik am Finanzamt Böblingen treffe die Falschen, sagt Ingo Rust. Da müssten die Mitarbeiter ausbaden, wofür sie nichts könnten. Und das in mehrfacher Hinsicht. Für eine bundesweite Umstellung auf eine einheitliche Software mussten die Finanzämter geschlossen werden. Die Arbeit blieb liegen. „Das aufzuarbeiten, hat man in Böblingen gut hingekriegt“, sagt Rust.
Dass die Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte bereits zum zweiten Mal verschoben werden musste, liege auch nicht an Böblingen, sondern an Nordrhein- Westfalen und an Bayern, wo man Probleme mit der Programmierung habe.
Punkt drei ist die Übertragung der Personendaten von den Städten und Gemeinden auf die Finanzämter. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass Daten von den Kommunen so fehlerhaft sind“, sagt Ingo Rust. Steuerzahler, die nicht rechtzeitig reklamierten, bekamen das jetzt bei der ersten Gehaltsabrechnung zu spüren. Dass diese nun die Finanzbeamten zu Sündenböcken stempeln, sei zwar verständlich, aber eben falsch: „Es liegt nicht an den Beamten der Steuerverwaltung.“

Wichtig für die Steuermoral
Das Finanzamt Böblingen, unterstreicht Ingo Rust, habe auf ihn einen besonders guten Eindruck gemacht. Auch, weil es für andere mit ausbilde. Sonst, so der Staatssekretär, erlebe er in Ballungsgebieten immer, dass es zu wenige Bewerbungen gebe. In Böblingen sei das wohl anders, weil man sich hier frühzeitig um den Nachwuchs kümmere. Er könne sich gut vorstellen, dass das Ministerium das Böblinger Modell für Schülerpraktika auf andere Finanzämter übertrage.
Das Thema Steuerverwaltung gehört zu den wenigen, die im Koalitionsvertrag von Grün- Rot mit konkreten Zahlen hinterlegt sind. In jedem Jahr sollen die 70 Finanzämter im Land zusammen neue 100 Mitarbeiter bekommen. 50, so Rust, habe man im zweiten Halbjahr 2011 schon eingestellt. Eine entsprechende Anzahl von Beschäftigten sei für eine gute Qualität der Steuerverwaltung wichtig. Von dieser wiederum hänge die Steuermoral ab, „dass jeder Bürger die Steuern zahlt, die er bezahlen sollte“. Durch die Prüfungen des Rechnungshofs wisse die Landesregierung, dass ihr, weil Betriebsprüfer fehlen, Steuern durch die Lappen gehen. Durch die Personalaufstockung erwarte das Land deutliche Mehreinnahmen. Ingo Rust: „Das ist ein Bereich, der sich rechnet.“
Zumindest langfristig rechnen soll sich auch, was der andere Teil des Doppelministeriums, das Wirtschaftsressort anpackt. „Wir nehmen uns konsequent dem Thema Fachkräftemangel an“, sagt Ingo Rust. Einen Seitenhieb an die schwarz- gelbe Vorgängerregierung verkneift er sich dabei nicht: „Das wurde verschlafen.“

325 Millionen für Kinderbetreuung
Nach einer von dieser in Auftrag gegebenen Studie der Prognos AG (Basel) aus dem Jahr 2009 fehlen 2015 in Baden- Württemberg 280 000 Arbeitskräfte, darunter 100 000 Hochschulabsolventen und 120 000 mit einer beruflichen Ausbildung. Vor allem mit Weiterbildung und dem Erschließen von Potenzial (Migranten, Frauen in technische Berufe) soll dem begegnet werden. Grün- Rot hat dazu im Dezember eine sogenannte Fachkräfteallianz ins Leben gerufen. Arbeitsagentur, Wirtschaftsförderungsgesellschaften, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und mehrere Ministerien sollen ihre Aktivitäten regelmäßig abstimmen.
Ein wichtiges Element, um den Fachkräftemangel zu vermindern, ist für Ingo Rust die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Wir haben dazu einen Pakt mit den Kommunen geschlossen und stellen für den Ausbau der Kinderbetreuung 325 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist auch Wirtschaftspolitik, denn davon profitieren auch die Unternehmen im Land.“

Tariftreuegesetz in Arbeit
Florian Wahl, Mitglied im Sozialausschuss der Landtags- SPD, findet, jetzt sei eine gute Zeit, um die Sockelarbeitslosigkeit anzugehen. Fünf Millionen Euro hat die Landesregierung für die Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit eingeplant. Das Geld werde nicht ausreichen, dennoch will Ingo Rust diese Menschen nicht nur auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt begleiten, sondern sie auch unterstützen, dass sie dort auf Dauer bleiben.
Das von den beiden Regierungsparteien schon im Wahlkampf angekündigte Tariftreuegesetz sei in Arbeit, sagt Ingo Rust. Wenn er Firmen besuche, die sich an Tarifverträge halten, höre er immer wieder, dass es Zeit werde, gegen das Lohndumping vorzugehen, sagt der Staatssekretär.
Das Tariftreuegesetz soll dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen gehen, die tarifgebunden sind. Und vor allem für die Baubranche soll es jede Menge öffentliche Aufträge geben. Nicht allein wegen den zusätzlichen 100 Millionen Euro für den Ausbau der Krankenhäuser.

Ein Finanzierungstrick
Das Land besitzt etwa 8000 Gebäude. Rusts Haus ist dabei, ein Konzept für deren energetische Sanierung auszuarbeiten. Beim Amtsgericht Böblingen, das er bei seiner Fahrt durch den Kreis Böblingen neben dem Finanzamt, der Schönbuchbräu Braumanufaktur und dem Museum für Alltagskultur in Waldenbuch besuchte, sei das dringend notwendig.
Die Mittel aus dem Haushalt würden für all die Sanierungen nicht reichen. Doch der Staatssekretär hat noch etwas in der Trickkiste: den Grundstock. Dessen Geld stammt aus Immobilienverkäufen und ist eigentlich für Immobilienkäufe reserviert. Der Plan des Finanz- und Wirtschaftsministeriums: Das Geld für die Sanierungen verwenden und die daraus resultierenden Einsparungen bei den Energiekosten wieder in den Grundstock einzahlen. Ingo Rust: „Nur so können wir sukzessive den Investitionsstau abbauen.“