„Die Kirche muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen“
Volles Haus beim zweiten Böblinger Gespräch mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Florian Wahl
Am Sonntag, 1. Juni 2025, fanden zum zweiten Mal die „Böblinger Gespräche“ im Blauen Haus statt. Das regelmäßig stattfindende Format des Landtagsabgeordneten Florian Wahl folgt immer dem gleichen Muster: Ein Gast, ein Thema, eine Stunde Gespräch, eine halbe Stunde Fragen.
Thema dieses Gesprächs war die Rolle der Kirche heute. Zu Gast war Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, der höchste Repräsentant der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die Resonanz war überwältigend: Alle Plätze im Blauen Haus waren besetzt. „Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr der Austausch zwischen Kirche, Gesellschaft und Politik die Menschen bewegt – obwohl, oder gerade, weil die Kirchen in der Krise sind“, so Wahl. „Mitgliederschwund und Vertrauensverlust betreffen sie ebenso wie andere Institutionen, aber in besonderem Maße. Gleichzeitig suchen viele Menschen nach Orientierung und Werten.“
Dieses Spannungsverhältnis wurde in einem intensiven einstündigen Gespräch anhand zentraler gesellschaftlicher Fragen erörtert: Welche Rolle spielt die Kirche in einer zunehmend säkularisierten und pluralen Gesellschaft? Wie geht sie mit politischen Fragen wie Waffenlieferungen oder dem Aufstieg rechtsextremer Parteien um? Und wie positioniert sie sich bei Themen wie der Ehe für alle, also der Gleichstellung homosexueller Paare?
All diese Fragen werden in Kirche und Gesellschaft auch kontrovers diskutiert. Als Bischof der evangelischen Landeskirche machte Gohl jedoch deutlich, dass er kein „Lehramt“ innehabe. Anders als in der katholischen Kirche werde die Bewertung von Fragen gemeinschaftlich ausgeübt – weshalb auch eine entsprechende Vielstimmigkeit in Kirche und Gesellschaft zu begrüßen seien. Selbst zu so fundamentalen Fragen wie dazu, ob Waffenlieferungen mit dem christlichen Glauben vereinbar seien, könnten unterschiedliche Ansichten plausibel begründet werden. Wiederholt betonte Landesbischof Gohl, dass es elementar sei, innerhalb dieses Spektrums verschiedener Meinungen und Überzeugungen einen Ausgleich zu finden und jede Überzeugung gelten zu lassen. Eine Grenze sei jedoch erreicht, wenn der Achtungsanspruch, der jedem Menschen zukomme, verletzt sei: „Als Christinnen und Christen glauben wir, dass jeder Mensch Gottes Geschöpf und Ebenbild ist“, so Landesbischof Gohl. „Er hat eine gottgeschenkte Menschenwürde, die unantastbar ist. Wer die Menschenwürde derart mit den Füßen tritt, wie es Björn Höcke tut, ist für Christinnen und Christen nicht wählbar!“ Diese Frage sei ebenso wenig eine partei- oder tagespolitische wie die Bewahrung der Schöpfung.
Nach dem Gespräch hatten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, eigene Fragen zu stellen – und sie nutzten diese Gelegenheit in großer Zahl.
„Mich hat besonders gefreut, wie vielfältig das Publikum war – von Jugendlichen bis hin zu Seniorinnen und Senioren, von Kirchengemeinderäten bis zu Atheistinnen und Atheisten waren unterschiedliche Menschen da, die sich respektvoll begegneten,“ betonte Wahl.
„Der gesellschaftliche Dialog lebt – und Formate wie die Böblinger Gespräche geben ihm Raum. Solche Räume für Austausch brauchen wir mehr denn je.“
