Erste Beratung – Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V.

11.12.2013

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. – Drucksache 15/4401

Abg. Florian Wahl SPD: Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Wie schon gesagt: Am 28. November haben der Ministerpräsident und der Vorsitzende des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma, Daniel Strauß, einen Staatsvertrag unterzeichnet, welcher die Beziehungen des Landes zu der hier lebenden Minderheit der Sinti und Roma auf eine rechtlich verpflichtende Grundlage stellt. Dieser Staatsvertrag bedeutet nicht lediglich eine Verpflichtung, er drückt vor allem auch den Willen aus, unser gesellschaftliches Zusammenleben zukünftig aktiver, freundschaftlicher und verbindlicher zu gestalten.

Dieser Vertrag ist ein Bekenntnis – ein Bekenntnis, dass die Sinti und Roma in diesem Land, in ihrem eigenen Heimatland willkommen sind, dass sie unsere Mitbürger sind und dieses Land kulturell bereichern und dass dieses Land das Seinige tun wird, um ihre Identität zu wahren und ihre Rechte als Minderheit zu schützen.

Dieser Vertrag ist ebenso sehr ein Bekenntnis zur Anerkennung einer furchtbaren und traurigen Vergangenheit. Die Sinti und Roma gehören seit mehr als 600 Jahren zur Gesellschaft des heutigen Landes Baden-Württemberg. Sie sind somit seit langer Zeit Bestandteil der hiesigen Kultur und Geschichte. Für den größten Teil dieser Zeit waren sie jedoch ausgegrenzt, benachteiligt, verfolgt und oftmals mit dem Tode bedroht. Der Tiefpunkt jener Vergangenheit war der nationalsozialistische Völkermord, dem auch hier in Baden-Württemberg viele Sinti und Roma zum Opfer fielen.

Leider müssen wir auch heute noch miterleben, dass gegen Sinti und Roma gehetzt wird, dass ihre Rechte beschnitten werden und ihnen Gewalt entgegenschlägt. Denken wir an die Zustände in Ungarn, wo Repression und Revisionismus zunehmen. Auch aus Frankreich muss man in den letzten Jahren erschreckende Nachrichten vernehmen. Dass in beiden Ländern die Regierungen teilweise mitverantwortlich für die Geschehnisse sind, ist umso bestürzender.

Doch der Blick nach außen soll uns nicht von der Aufmerksamkeit in unserem eigenen Land ablenken. Es ist eine beschämende Tatsache, dass Antiziganismus auch Jahrzehnte nach dem Ende des nationalsozialistischen Unrechtsregimes nach wie vor in Teilen unserer Gesellschaft Bestand hat. Gerade auch in Zeiten wie diesen, in denen wir von Armutsmigration aus Osteuropa sprechen und teilweise an manchen Stammtischen, aber auch in öffentlichen Äußerungen von „Sinti- und Roma-Schwemme“ gesprochen wird, müssen wir aufpassen, welche Worte wir wählen und welche Ressentiments wir damit wiedererwecken.

Auch und gerade deshalb soll der Staatsvertrag ein Zeichen sein, eine klare, eindeutige Positionierung gegen jeglichen Rassismus und jede Diskriminierung, ein Zeichen der vorbehaltlosen Anerkennung der ungeheuren historischen Schuld und des Willens, die unwürdige Vergangenheit gemeinsam zu überwinden, ohne sie zu vergessen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wie der Vertrag inhaltlich gestaltet ist, wurde von meinen Vorrednern schon dargelegt. Es ist wichtig, dass wir die Geschichte der Sinti und Roma in unseren Bildungsplänen verankern und somit die Grundlage für die nächsten Generationen schaffen, sich zu diesem Erbe zu bekennen. Denn eines muss man auch sehen: Die Sinti und Roma sind heute noch strukturell benachteiligt. Deswegen müssen wir gerade die Benachteiligung im Alltagsleben vor Ort, ob in der Kommune, auf dem Wohnungsmarkt oder bei den Bildungschancen, nach und nach gemeinsam abbauen. Auch dazu dient der Vertrag. Er ist nicht der Abschluss eines Prozesses, sondern er ist Auftrag und Anfang eines gesellschaftlichen Wandels, den wir hiermit einleiten.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deswegen ist auch das gemeinsame Gremium, das paritätisch besetzt wird, ganz wichtig. Wir müssen dies kritisch begleiten und uns immer wieder hinterfragen. Einerseits ist die Beteiligung der Sinti und Roma, andererseits ist die breite Einbindung der Landesregierung, des Parlaments, aber auch der Kommunen wichtig. Wir können stolz sein, dass wir den Schritt gewagt haben. Baden-Württemberg nimmt hier eine positive Vorreiterrolle ein. Wichtig ist jetzt, was wir in den nächsten Jahren aus dem Vertrag machen.

Herzlichen Dank