„Gewalt gegen Frauen nimmt überall im Land ab – außer im Kreis Böblingen

Gewalt gegen Frauen steigt im Landkreis Böblingen in erheblicher Weise an. Das geht aus einer kleinen Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Florian Wahl hervor. „Die Entwicklung im Kreis Böblingen ist erschreckend“, sagt Florian Wahl. „Die Landesregierung muss Strategien entwickeln, um Frauen im Kreis noch besser zu schützen!“

Frauen sind insbesondere im persönlichen Nahbereich von Gewalt betroffen. Fast immer geht die Gewalt dabei vom Partner aus. „Das ist ein strukturelles Problem, in dem sich der Machtanspruch mancher Männer über Frauen besonders krass manifestiert“, stellt Florian Wahl fest.

Als „Partnergewalt“ werden Übergriffe auf Frauen im persönlichen Nahbereich in der Polizeilichen Kriminalstatistik gesondert erfasst. Darunter versteht man jede Form von häuslicher Gewalt, die eine direkte physische oder psychische Einflussnahme auf Beziehungspersonen darstellt. Erfasst sind auch Fälle von Gewalt, die von Ex-Partnern ausgehen. Besonders häufig sind Straftaten gegen die persönliche Freiheit, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung.

Die Entwicklung in Baden-Württemberg ist grundsätzlich eine positive: In den letzten drei Jahren ist die Zahl der erfassten Partnergewalt insgesamt gesunken. Das Bild im Landkreis Böblingen ist allerdings ein anderes: Nicht nur liegen die Zahlen hier über dem Landesdurchschnitt, sie steigen in den letzten Jahren auch stetig an. Hier werden besonders viele Frauen Opfer von Partnergewalt. „Besonders erschreckend ist, dass sich die Zahl der Vergewaltigungen durch (Ex-)Partner von 2020 auf 2021 im Landkreis mehr als verdoppelt hat“, findet Florian Wahl. „Das ist wirklich schockierend!“

Dass die Landesregierung bei der Beantwortung der kleinen Anfrage trotz dieser Auffälligkeiten keine Gründe liefert, die diese Abweichungen erklären könnten, ist überraschend. „Wir erwarten bei so einer so signifikanten Differenz der Zahlen zwischen Landkreis und Land eine zusätzliche Anstrengung des Landes bei der Beantwortung der Anfrage und kein lapidares Abtun. Es muss herausgefunden werden, ob hier ein strukturelles Problem vorliegt! Darauf aufbauend können wir dann speziell hier Strategien entwickeln, um Frauen im Kreis besser zu schützen.“

Linderung könnten Fachberatungsstellen schaffen, von denen es im Kreis Böblingen fünf gibt: AMILA, thamar, die Außenstelle des WEISSEN RING, die psychologische Beratungsstelle Böblingen und die mobile Beratungsstelle YASEMIN. „Die Beratungsstellen leisten hervorragende Arbeit und ich bin froh und stolz, schon lange mit einigen in Kontakt zu stehen und sie unterstützen zu dürfen“, so Florian Wahl. „Aber die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen hat viele der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfer*innen und Berater*innen wahrlich an ihre Grenzen gebracht. Hier muss das Land etwas unternehmen!“

Im Jahr 2020 verzeichnete beispielsweise die Anlauf- und Beratungsstelle AMILA eine Steigerung der Beratungskontakte um 43%, von 433 Beratungen im Jahr 2019 auf 619 Beratungskontakte im Jahr 2020. Zwar konnten schon 2019 Stellen bei AMILA aufgestockt werden, aber selbst das Sozialministerium muss zugeben, dass die Auslastungsgrenze erreicht ist, bzw. in manchen Wochen deutlich überschritten wird. „Hier müssen wir handeln!“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, „wir können Frauen, die Hilfe dringend benötigen nicht warten oder gar hängen lassen“, fährt er fort. „Die Landesregierung muss mehr Mittel zur Verfügung stellen, um die Beratungsstellen besser auszustatten. Es darf nicht sein, dass gerade die kleineren Beratungsstellen ihr Deputat aus Eigenmitteln oder Spenden aufstocken müssen, um Hilfe anbieten zu können.“

Förderung für Präventivmaßnahmen wichtig

Obwohl es eine Fördermittelrichtlinie des Landes Baden-Württemberg für Beratungsstellen sowohl für sexualisierter Gewalt als auch für häusliche Gewalt gibt, die in den meisten Fällen aber nicht ausreicht, wird ein wichtiger Punkt finanziell überhaupt nicht gefördert: Präventionsmaßnahmen. „Es wird erst gefördert, wenn das Kind quasi schon in den Brunnen gefallen ist“, beklagt sich Wahl. „Dabei wäre es doch besser, schon präventive Maßnahmen und auch solche zur besseren Bekanntmachung der Beratungsstellen zu fördern!“

Projekte, wie die momentan laufende Plakataktion in öffentlichen Verkehrsmitteln im Kreis Böblingen, die dem Zweck dienen, Frauen zu zeigen, wo sie sich im Notfall hinwenden können, werden momentan nur durch Spenden finanziert.

Ein Lichtblick ist, dass es bald endlich wieder ein Frauenhaus im Kreis Böblingen gibt. Nach langer Planung, soll ein solches 2024 eröffnen. „Das ist ein großer Erfolg und wichtiger Schritt, um Frauen vor akuter Gewalt zu schützen“, sagt Florian Wahl. Aber die Landesregierung stehe nun in der Pflicht, die strukturellen Ursachen von Partnergewalt systematisch aufzuarbeiten. „Es muss analysiert werden, warum der Trend im Landkreis Böblingen entgegen der landesweiten Entwicklung läuft“, fordert Wahl. „Denn nur, wenn wir das Problem an der Wurzel packen, kann langfristig das eigene Zuhause für alle Menschen ein sicherer Ort werden.“