Grußwort zur Benennung der Willy-Brandt-Allee in Sindelfingen

12.12.2013

(Es gilt das gesprochene Wort)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Vöhringer,

in sechs Tagen wäre Willy Brandt einhundert Jahre alt geworden. Neben der 150-Jahr-Feier der SPD und dem hundertsten Todestag von August Bebel ist dies für einen Sozialdemokraten das dritte bedeutende Jubiläum, das wir im Jahr 2013 begehen. Ich bin allerdings der Ansicht, nicht nur Politikern tut ein Blick zurück hin und wieder gut, um die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Denn indem wir uns erinnern, was andere Menschen vor uns getan und geleistet haben, können wir Fehler vermeiden, Wertvolles bewahren und Gutes fortsetzen lernen.

Die heutige Benennung der Willy-Brandt-Allee soll daran erinnern, wofür Willy Brandt zeit seines Lebens stand und was dieses Land und Europa ihm zu verdanken haben. Für mich ist es eine große Ehre, zu diesem feierlichen Akt einige Worte beitragen zu können.

In Deutschland gibt es heute bereits viele nach Willy Brandt benannte Straßen und Plätze. Es ist dies eine von vielen Möglichkeiten, einen Menschen zu würdigen, der mit all seinen Stärken und Schwächen dieses Land geprägt hat, wie nur wenige. Ich möchte sagen, er hat dieses Land grundlegend verändert, und er hat es zum Guten verändert.

Sein Name bleibt untrennbar verbunden, mit einem gesellschaftlichen Aufbruch in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Willy Brandt stiftete Versöhnung in einer von tiefen Widersprüchen gespaltenen Gesellschaft. Er ermutigte zu mehr, er ermöglichte mehr Demokratie. Und er reichte die Hand zur Versöhnung den Menschen im östlichen Teil Deutschlands und Europas und ermöglichte damit erstmals seit dem Mauerbau wieder einen begrenzten Kontakt zwischen Ost und West. Ja, er ermöglichte mit seiner Politik der Annährung erstmals wieder die Begegnung von Familien, die durch die [Zitat] widernatürliche Spaltung auseinandergerissen wurden. Langfristig schuf er damit die Grundlage für die deutsche Wiedervereinigung.

Das ist das Erbe seiner fünfjährigen Kanzlerschaft. Fünf Jahre im langen 20. Jahrhundert. Aber der Mensch Willy Brandt und seine Lebensgeschichte stehen sinnbildlich für die Höhen und Tiefen der deutschen Geschichte in beinahe 8 Jahrzehnten. Als uneheliches Kind, geboren in armen Verhältnissen im Kaiserreich. Als junger Widerstandskämpfer gegen die Nazis, als Emigrant, der seine Überzeugung mit der Flucht aus seiner Heimat, mit Ausbürgerung und jahrelanger Bedrohung bezahlt hat. Als Rückkehrer in der Nachkriegszeit, dem der Widerstand gegen die Nazis und das unfreiwillige Exil zum Vorwurf gemacht wurden – gerade von denjenigen, die 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatten. Als Bürgermeister von Westberlin in dessen schwersten Augenblicken, und später noch als Elder Statesman, der in allen politischen Lagern Respekt erfuhr.

Das Gedenken an Willy Brandt, das wir auch mit der heutigen feierlichen Benennung begehen, darf aber nicht in rückwärtsgewandte Nostalgie führen. Willy Brandt wollte nie, wie er selbst betonte, ein Säulenheiliger sein. Und so sehr jener große bundesdeutsche Politiker Bewunderung verdient: es ist auch und noch mehr seine Botschaft, sein politischer und menschlicher Idealismus, an den wir in solchen Augenblicken erinnern sollten.

Man sollte nicht versuchen, das Lebenswerk dieses Mannes auf Schlagworte zu reduzieren. Aber drei große Ideale kommen nicht nur mir an erster Stelle in den Sinn, wenn es um das politische Wirken Willy Brandts geht. Frieden und Aussöhnung unter den Völkern in Europa und in der Welt. Freiheit statt Unterdrückung. Und schließlich die Menschenwürde, die für alle gilt, und die ein Leben in sozialer Sicherheit und ohne Ausbeutung verbürgen soll.

All das sind Werte, die die Politik von Willy Brandt geprägt haben. Und spätestens hier zeigt sich, dass es eben nicht Nostalgie ist, daran zu erinnern. Diese Herausforderungen stellen sich unverändert bis zum heutigen Tage und sie stellen sich weiterhin, solange es Menschen gibt, die darauf verzichten müssen.

Und in diesem Sinne kann eine solche Benennung als Ansporn wirken, gemeinsam für diese unveräußerlichen Werte zu streiten. Daran kann jeder einzelne Mensch mitarbeiten.