„Kein menschenwürdiges Leben“

Quelle: SZBZ von Matthias Staber 05.05.2012

„Was ist Arbeit heute noch wert?“ Diese Frage haben die Landes- Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD), der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Daimler AG, Erich Klemm, der Betriebsseelsorger Paul Schobel und die Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Wohnstätten und Werkstätten Sindelfingern (GWW), Andrea Stratmann, im Sindelfinger Glaspalast diskutiert.

Ein gesetzlicher, flächendeckender Mindestlohn, politisch forcierte Entgeltgleichheit für Männer und Frauen, ein politisches Konzept gegen die Leiharbeit: Die Politik muss der Arbeitswelt Rahmenbedingungen vorgeben, damit sie gerecht und menschenwürdig bleibt, lautet die Quintessenz dieser Podiumsdiskussion, zu der Florian Wahl, SPD- Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Böblinger SPD- Ortsvereins, und Andreas Schneider- Dölker, Vorsitzender des Sindelfinger SPD- Ortsvereins, in den Spiegelsaal des Sindelfinger Glaspalasts geladen hatten.
Der katholische Betriebsseelsorger Paul Schobel stellt der modernen Arbeitswelt kein gutes Zeugnis aus: „Die Arbeit wird als Kostenfaktor bekämpft und kommt unter die Räder.“ Zudem gehe der menschenwürdige Umgang mit der Zeit verloren. „Kein Land hat so viele Niedriglöhne wie Deutschland“, so Schobel. Wenn jemand zwei Jobs ausüben müsse, um über die Runden zu kommen, sei kein menschenwürdiges Leben mehr möglich. Dies sieht Katrin Altpeter genauso: „Es kann nicht sein, dass jemand neben seinem regulären Job noch dreimal die Woche an der Tanke arbeiten muss.“

Der Druck auf jeden Einzelnen in den Unternehmen werde größer, berichtet Erich Klemm. Die Folge sei eine Zunahme psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern. Dies bestätigt Andrea Stratmann: Nicht behindert geboren, sondern behindert geworden zu sein, sei das Schicksal vieler Menschen, die dann „zunächst durch eine Arbeitslosigkeitsschlaufe geschickt werden, bevor sie eine Behinderung attestiert bekommen“.
Könne die Politik in diese Missstände überhaupt eingreifen, oder handle es sich bei entsprechenden Programmen nur um politische Kosmetik, fragt Florian Wahl. Nein, sagt Katrin Altpeter: „Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt vorzugeben.“ Neben der Politik und den Arbeitgebern seien jedoch auch die Beschäftigten in der Pflicht, sagt Katrin Altpeter: „Arbeitnehmer müssen sich wieder besser organisieren und für ihre Interessen eintreten.“ Sie stelle eine zunehmende Tendenz zur Selbstausbeutung fest, sagt Andrea Stratmann.

„Wir werden in den kommenden Wochen einen Stopfen auf das Thema Leiharbeit setzten“, verspricht Erich Klemm für die laufenden Tarifverhandlungen: „Das wird jedoch nicht reichen. Neben der Tarifpolitik ist bei diesem Thema die Politik gefragt. Die bestehenden Gesetze zur Leiharbeit sind Mist.“ Gerechtigkeit schaffen und Ängste nehmen: Dies sei Aufgabe der Politik, sagt Erich Klemm.