Sei Persönlich, aber nicht allzu Privat

17. Mai 2022

Für mich gibt es eine Regel worüber ich in sozialen Medien poste, öffentlich spreche und mich äußere: „Sei persönlich, aber nicht allzu privat.“ Bei diesem Thema geht es nicht ohne privat und hat auch etwas Überwindung gekostet, aber dennoch ist es mir ein Anliegen es mit Euch zu teilen.

Ich bin queer. Hatte in meinem Leben glückliche Beziehungen zu Frauen und zu Männern. Beides hat sich jeweils für mich richtig, schön und gut angefühlt.

Was sich jedoch anders angefühlt hat und sich auch immer noch anders anfühlt, ist die ANGST der Reaktion anderer, wenn ich nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann zusammen bin. Da waren auf der Strecke Fragen wie:

  • Was sagt die Familie?
  • Was sagen die Kolleg*innen?
  • Hat das möglicherweise Auswirkungen auf meinen Beruf? Soll ich es am Arbeitsplatz sagen? Ich habe mich lange dagegen entschieden.
  • Was sagen Freund*innen? Vor allem die aus der Kinder-, Jugend- und Schulzeit? Umso wichtiger sie mir sind und waren, desto größere Scheu hatte ich darüber zu reden – und manchmal habe ich sie noch immer.
  • Sehen die mich dann anders? Denken Kumpels, dass ich mich an sie habe ranmachen wollen? Wenn es kein Problem ist, warum spricht mich keiner – von sich aus – darauf an?
  • Wie wird es – in meinem Fall – politisch bewertet?
  • Kann ich noch genauso Politik machen wie vorher? Werde ich plötzlich darauf reduziert?

Warum erzähle ich das? Warum spreche ich so persönlich, gar privat?

Weil das auch heute noch, auch bei einem sehr privilegierten, noch einigermaßen jungen, weißen Cis-Mann – wie mir – mit sehr viel ANGST verbunden ist.  Und wie muss es erst anderen gehen, die nicht so viel Sicherheit, Glück, so viel Liebe, so viel Support erleben durften?

(Und in meinem Fall natürlich zudem auch, dass sich manche nun keine Fragen mehr stellen müssen – was denn eigentlich Sache ist)

ANGST ist das bestimmende Thema. ANGST, dass man von seinem Umfeld, der Gesellschaft nicht so angenommen wird – wie man lebt und liebt. Heute vielleicht nicht mehr so schlimm wie früher. Aber welchem Menschen in der Situation hilft die Aussage, dass es früher noch schlimmer war?

Die ANGST, dass das Unbehagen immer wiederkommt – auch wenn ich diesen Post hier schreibe.

Aus diesem Grund braucht es den IDAHOBITA – heute immer noch, wie im Jahr 2005, als er zum ersten Mal ins Leben gerufen wurde.

Unter dem Motto „STOP HATING US!“ ruft der CSD Stuttgart gemeinsam mit dem Projekt 100% MENSCH und dem LSVD Baden-Württemberg von 11-19 Uhr zu einem Aktionstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz auf. Das Motto ist gut gewählt, denn in Deutschland steigen tatsächlich die Zahlen der Hasskriminalität gegen queere Menschen seit Jahren an und das ist noch etwas ganz anderes als ich es erlebt habe.

Und das obwohl laut internationalen Studien nur ein Bruchteil der Straftaten von den Betroffenen überhaupt zur Anzeige gebracht wird. In den einschlägigen Statistiken, insbesondere der polizeilichen Kriminalstatistik, werden queerfeindliche Straftaten nicht gesondert erfasst. Deshalb ist es schwierig, eine klare Aussage zur Häufigkeit von queerfeindlicher Hasskriminialität zu treffen. Beispielsweise Berlin hat deshalb flächendeckend Ansprechpersonen für Opfer queerfeindlicher Straftaten bei der Polizei benannt. Dadurch soll nicht nur gewährleistet werden, dass sich queere Menschen bei der Polizei gut aufgehoben fühlen, sondern auch die Anzahl der queerfeindlichen Übergriffe ermittelt werden. Die Landesregierung muss auch für Baden-Württemberg Wege schaffen, durch die queerfeindliche Kriminalität erfasst und dokumentiert wird!

Umso wichtiger ist es, dass wir am heutigen IDAHOBITA darauf aufmerksam machen.

Ich würde mich freuen, einige von Euch um 17 Uhr bei der Kundgebung auf dem Schlossplatz zu sehen.

Zum ersten Mal bin ich richtig froh, dass wir in der NATO sind

Persönliche Gedanken zur Sicherheitspolitik

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine treibt mich Vieles um. Unter anderem mach ich mir viele Gedanken über meine eigenen sicherheitspolitischen Überzeugungen.

Da ich mir gut vorstellen kann, dass es manchen von Euch auch so geht, will ich ein paar dieser Gedanken hier teilen.

Ich habe mich mit Waffen, Armee und allem Militärischen immer sehr schwer getan.

Ich habe immer rational verstanden, warum es Landesverteidigung braucht oder weshalb es den Wehrdienst gab, aber so richtig identifizieren konnte ich persönlich mich damit nie. Rational als notwendig empfunden, emotional war es nicht nur fremd, sondern ich habe es ganz ehrlich innerlich auch abgelehnt.

Ich war immer konsequent gegen Waffenlieferungen und hab mich selbst dann, wenn ich eine Entscheidung zu Waffenexporten nachvollziehen konnte, nie wohl damit gefühlt.

Auch die deutsche Rüstungsindustrie als einen Wirtschaftszweig unter anderen zu sehen, oder gar für die Arbeitsplätze in diesem Bereich zu argumentieren, lag mir fern und tut es auch heute noch.

Auch für die NATO hatte ich nie große Sympathie, obwohl oder vielleicht auch teilweise weil ich mich zum ersten Mal bereits im mündlichen Abi mit dem NATO-Doppelbeschlusses beschäftigt habe. Die NATO war für mich ein Relikt der Vergangenheit. Ich war der Meinung, dass wir sie heute – nach dem Kalten Krieg – nicht mehr ernsthaft brauchen. Das 2%-Ziel fand ich immer übertrieben.

Das ganze Thema Aufrüstung und ehrlich gesagt auch Ausrüstung der Bundeswehr war mir fremd. Ich weiß nicht, ob es nur mir so ging, aber irgendwie hielt ich eine schwache Bundeswehr – zumindest zum Zweck der Landesverteidigung – für einen zivilisatorischen Fortschritt. Ich war der Meinung, dass eine Gesellschaft, die sich nicht um ihr Militär kümmert, eigentlich eine ganz aufgeklärte, eine zivilere sei. Ich empfand eine Gesellschaft, der es wohl nicht so wichtig war, ob ihre Panzer fahren können und die Gewehre gerade schießen können, als ziemlich friedliebend. Rational war immer klar, dass das so nicht sein soll. Emotional habe ich diese mangelnde Prioritätensetzung von Herzen geteilt.

Und jetzt?

Jetzt ist das passiert, was ich nicht für möglich halten wollte: Russland bombardiert im großen Stil ein souveränes Nachbarland, tötet wahllos Menschen und schert sich kein bisschen um das Völkerrecht und internationale Abmachungen.

Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich richtig froh, dass wir in der NATO sind. Irritiert über die krass andere Bewertung meinerseits als noch vor zwei Monaten, aber von Herzen froh.

Die Idee einer gut aufgestellten Bundeswehr wirkt plötzlich reizvoll, notwendig, ja alternativlos.

Den Richtungswechsel der Bundesregierung kann ich in diesem Kontext gut verstehen. Auch wenn es mir nicht leichtfällt. Ich bin überzeugt, dass es absolut richtig ist. Vor einigen Monaten hätte ich das alles jedoch noch für vollkommen übertrieben gehalten.

Vielleicht war ich zu gutgläubig, zu optimistisch. Ich weiß es nicht.

Auf jeden Fall haben die letzten Tage und mittlerweile Wochen etwas in mir angestoßen und an so manchen Überzeugungen gerüttelt.

Und vielleicht geht es einigen von euch ja auch so. Ich bin überzeugt, dass mich diese Fragen auch in den kommenden Monaten noch umtreiben werden.

Auf jeden Fall bin ich froh, dass in der Regierung Leute sitzen, die das nicht machen, weil sie es schon immer machen wollten. Ganz im Gegenteil. Sondern weil sie davon überzeugt sind, dass es nach Putins Überfall auf die Ukraine notwendig ist.

Das sind Frauen und Männer, die den Prozess zur Stärkung der Bundeswehr und einer Neuausrichtung deutscher Sicherheitspolitik auch mit einem kritischen Blick begleiten werden – dieses Korrektiv ist momentan richtig und wichtig.